Welt Online, 10.09.2009

Europäische Integrationspolitik: Zuwanderung – Abrechnung mit einem Mythos

Auch Deutschland ist ein Zuwanderland (Foto: dpa)

Foto: dpa

Bereicherung oder Bedrohung? Ein US-Journalist hat die Geschichte der Immigration analysiert – und sieht für Deutschland und Europa dramatische Konsequenzen. Europa hat seinen Bedarf an Arbeitskraft von Zuwanderern überschätzt. Immigranten beanspruchen die Sozialsysteme mehr, als sie dazu beitragen.

Auf den Tag genau 45 Jahre ist es jetzt her, dass der Portugiese Armando Rodrigues de Sà mit Blumenstrauß und einem Moped – es war eine Zündapp Sport Combiette – am Bahnhof Köln-Deutz als der millionste Gastarbeiter in Deutschland begrüßt wurde.

Geht es nach dem amerikanischen Journalisten Christopher Caldwell, gibt es an diesem Datum nichts zu feiern. Über zehn Jahre lang hat Caldwell die Geschichte der Zuwanderung nach Europa recherchiert, von Malmö bis Rom, von Dublin bis Duisburg, und sein Ergebnis ist finster. „Europa hat seinen Bedarf an Arbeitskraft von Zuwanderern überschätzt. Der wirtschaftliche Nutzen, den die Zuwanderung gebracht hat, war minimal und temporär. Er ist längst Vergangenheit.“ Dafür, so glaubt Caldwell, waren die sozialen und kulturellen Umwälzungen infolge der Massenimmigration massiv und dauerhaft. Die Einbindung neuer ethnischer Gruppen in Europas Gesellschaften war nicht einfach eine Addition zu dem, was da ist, sodass es nun bunter ist als vorher.

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Es ist eine massive Veränderung, eine Revolution. Der Wohlfahrtsstaat ist praktisch nicht mehr zu halten; das Zusammenwachsen der EU erschwert, der Säkularismus europäischer Provenienz durch die Ankunft des Islam auf eine harte Probe gestellt. „Kann Europa bleiben, was es ist, obwohl andere Leute darin leben?“, fragt Caldwell. Die Antwort ist Nein.

Der Titel dieses beunruhigenden, provokanten und exzellent recherchierten Buchs ist angelehnt an einen Klassiker des europäischen Konservatismus: Edmund Burkes „Reflections on the Revolution in France“. Wie Burke darin 1790 seinen tiefen Zweifeln an der Französischen Revolution Luft macht, deren abstrakte Prinzipien in seinen Augen der menschlichen Natur zuwiderlaufen, will auch Caldwell die vorgebliche Rationalität hinter der Massenimmigration nach Europa als Schimäre enthüllen.

Seine Geschichte geht so: Europa war nicht ganz bei sich, als es beschloss, massiv um Zuwanderer zu werben. Es lag in Trümmern, materiell und ideell. Die Eliten der Nachkriegszeit hätten entweder gar nicht groß über die Folgen ihres Tuns nachgedacht – oder sich vollkommen verschätzt. Sie dachten, die Zuwanderer würden nicht lange bleiben (das dachten diese selbst auch), es würden nicht viele kommen, und sie würden genau in den kurzfristigen Engpass springen, der sich wegen der vielen toten Europäer aufgetan hatte. „Niemand glaubte, sie würden jemals Anspruch auf Sozialhilfe erwerben. Dass sie die Gewohnheiten und Kulturen südländischer Dörfer, Familienclans und Moscheen beibehalten würden, erschien als völlig bizarrer Gedanke.“

Falsche Annahmen zu Beginn

Fast alle diese Annahmen hatten sich spätestens in den Siebzigerjahren als falsch erwiesen. Aber der Anwerbestopp, den die meisten westeuropäischen Länder dann verhängten, änderte wegen des Familiennachzugs nichts daran, dass es da mit der Zuwanderung überhaupt erst richtig losging.

Wenn man den deutschen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble auf diese paradoxe Entwicklung anspricht, erhält man eine verblüffende Antwort. „Wir waren nie ein Land, das aussucht“, erklärte Schäuble vergangene Woche im Gespräch mit WELT ONLINE, als ginge es um den Verlauf der deutschen Küsten oder andere Naturgegebenheiten. Warum eigentlich nicht? Und auf die Frage, wie es sein konnte, dass eine Demokratie diesen Prozess jahrzehntelang gegen den erklärten Willen der Bevölkerungsmehrheit durchgedrückt hat, hieß es: „Je besser die Integration gelingt, desto weniger Fremdenfeindlichkeit gibt es.“ Den Menschen müsse man sagen: „Verschiedenheit ist keine Bedrohung, sondern eine Bereicherung.“

Da hat Christopher Caldwell seine Zweifel. Als die Gastarbeiter kamen, war die Schwerindustrie, für die sie angeheuert wurden, schon auf dem absteigenden Ast. Die Türken, die noch in den Sechzigerjahren eine höhere Beschäftigungsquote hatten als die Deutschen, stellen heute in manchen Städten bis zu 40 Prozent der Arbeitslosen. Gastarbeiter, da seien sich alle Experten einig, sagt Caldwell, drückten die Produktivität.

Italien beispielsweise hätte traditionelle Formen der Landwirtschaft nur mit billigen Zuwanderern aus Afrika und dem Mittleren Osten aufrechterhalten können. „Unter den Bedingungen der Globalisierung hätte Italien wahrscheinlich einen Wettbewerbsvorteil, wenn es auf ein Hightech-Wirtschaftsmodell setzen würde, das vielleicht lukrativer wäre – aber eben nicht besonders ‚italienisch‘. Italiener könnten dagegen aufbegehren.“

Büffelmozzarella aus Kampanien, kostbares Leinen aus der Normandie, Stahl aus Deutschland – ohne Arbeitskraft aus Mali, Anatolien und Algerien müsste man auf Billigersatz und seelenlose Großketten zurückgreifen. „Alles muss sich ändern, damit es so bleiben kann, wie es ist“, zitiert Caldwell den nostalgischen Seufzer aus Giuseppe di Lampedusas „Der Leopard“.

In Deutschland hört man häufiger ein anderes Argument für die Zuwanderung, eines, das Caldwell „sozialistisch“ nennt: Immigranten sollten den Wohlfahrtsstaat retten, indem sie die ungünstige demografische Talfahrt umkehren, auf der wir uns befinden: zu viele Alte, zu wenig Kinder. Aber die Bevölkerungsabteilung der Vereinten Nationen behauptet, dass dafür 701 Millionen Zuwanderer nötig wären, also deutlich mehr Menschen, als derzeit in Europa leben.

In Deutschland ist die Zahl der zugezogenen Ausländer zwischen 1971 und 2000 um drei Millionen auf 7,5 Millionen gestiegen. Aber die Zahl der Berufstätigen aus dieser Gruppe blieb festgebacken bei zwei Millionen. 1973 waren 65 Prozent der Immigranten berufstätig, 1983 waren es nur noch 38 Prozent. Obendrein werden auch Zuwanderer alt und haben dann Anspruch auf Rentenzahlungen. Caldwell folgert: „Immigranten beanspruchen die Sozialsysteme mehr, als sie dazu beitragen.“

Eine fatale Mischung aus deutschem und europäischem Selbsthass (begründet in der Nazi-Vergangenheit, Kolonialismus, Werteverlust) und islamischer „Hyper-Identität“ führt nach Caldwells Auffassung dazu, dass Europäer vor allem dem Massenzustrom muslimischer Migranten hilflos gegenüberstehen.

 „Warum in Gottes Namen“, zitiert Caldwell den Verfassungsrichter Udo Di Fabio, „sollte eine vitale Weltkultur sich in eine westliche Kultur integrieren wollen, wenn diese – die nicht genügend Nachwuchs produziert und nicht mehr länger über eine transzendente Idee verfügt – sich ihrem historischen Ende nähert?“

Versuche, beispielsweise in der Islam-Konferenz zu einem Modus Vivendi zu kommen, hält Caldwell naturgemäß für naiv. Wie es sich für ein konservatives Manifest gehört, stellt sich am Ende von Christopher Caldwells „Reflexionen über die Revolution in Europa“ (bisher nicht auf Deutsch erschienen) das triste Gefühl ein, dass mit wohlmeinender Politik nicht viel zu machen ist. „Der amerikanische Erfolg mit der Zuwanderung“, so schreibt er, sei nicht zuletzt das Produkt „brutaler Indifferenz und eines Regierungshandelns, das für die meisten Europäer abstoßend ist“. 

Ob ein Vergleich der Lage europäischer und amerikanischer Städte wirklich den durchschlagenden Erfolg „brutaler Indifferenz“ belegen kann, ist allerdings eine andere Frage.

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1 bis 8 von 8 Kommentaren
@Fili
Bernd
Veröffentlicht am 11.09.2009 13:23
Das du in der Schule gehänselt wurdest ist kein Wunder. Mit der Einstellung!
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^^
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Veröffentlicht am 11.09.2009 12:58
ich wohne in nürnberg und finde hier wird es zu bunt mit den ausländern wir leben im multikulti
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Arme Ausländer
Veröffentlicht am 11.09.2009 12:46
Warum darf denn nicht geschrieben werden, dass die Kriminalitätsrate unter den Immigranten extrem hoch ist, warum wird nicht offen der Extremismus seitens bestimmter Religionen genannt? Warum wird nicht offen kritisiert, dass sich Einwanderer nicht an das Recht des Einwanderungslandes halten und nicht dessen Kultur akzeptieren / achten?? Warum wird nicht öffentlich dagegen angegangen? In anderen europäischen Staaten geht das doch auch ?! Wenn ich als Ausländer mich nicht an die Gesetze meines Gastlandes Hhalte und nicht deren Kultur achte, mich nicht anpasse, ist ein Rauswurf das Geringste, was mir passieren kann!
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An Ost
Veröffentlicht am 11.09.2009 12:18
Die Ausländer, welche seit 20 und mehr Jahren hier in D-Land sind, tragen nicht die Schuld am Dilemma. Es ist eindeutig Schuld der deutschen Politiker! In keinem Land der Welt wir der Nationalstolz der artig pervers unterdrückt wie in Deutschland! Nirgends wird Asyl-Bewerbern die Türe soweit aufgestossen, wie in Deutschland. Nirgends darf sich ein Migrant soviel Rechte herausnehmen, ohne Gegenleistungen, wie in Deutschland! In anderen Kulturstaaten werden Asylbewerber zuerst in Quarantäne gesteckt, müssen einen Nutzen für das Einwanderungsland nachweisen und dürfen nicht politisieren...Ich bin kein Nationalist, gehe aber mit offenen Augen durch die Welt...Uns Deutschen darf jeder Asylant ins Gesicht sagen"du Na..." und es passiert nichts! Hier bekommt jeder Asylant seine Rechte garantiert, die im Gesetz festgelegt sind. Soll Auch so sein, wer aber garantiert mir meine Rechte ??
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Fili
Veröffentlicht am 11.09.2009 10:50
ach wenn ich mit meiner mutter in aldi oder lidl gehe und von einem ausländerfeinlichen deutschen assi angeschubst werde....was ist das ??
deutsche judendliche sind genau so
ich wurde in der grundschule auch gehänselt...von deutschen
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An Horst
Veröffentlicht am 11.09.2009 10:11
Ich bin genau deiner Meinung. Es gibt viel zu viele Ausländer in Deutschland an sich. Und es gibt viel zu viele die sich absolut nicht integrieren können. Die kotzten mich einfach nur noch noch. Ob bei Aldi oder Lidl, mann kann keinen Schritt mehr machen ohne das einen eine horde türken entgegenkommt. Mein Kind geht in eine Klasse in der es nur Ausländer gibt. Die Kinder sprechen alle in ihren Sprachen auf dem Schulhof und hänseln teilweise die deutschen Kinder damit. Ich werde mir das alles noch eine gewisse zeitlang ansehen und genau beobachten. Wenn es noch schlimmer wird mit Gewalt untereinander und das sich jetzt die deutschen Kinder integrieren sollen, bin ich auf jeden Fall dazu bereit umzuziehen zb nach Norddeutschland wo es nicht mal ansatzweise soviele Ausländer, die schon in dritter Generation von Sozialhilfe leben, wie im Ruhrgebiet gibt.
Einen schönen Tag noch.
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Ost
Navigator
Veröffentlicht am 11.09.2009 09:26
An Horst. Ich finde nicht, das die Ausländer, die vor zwanzig Jahren zugewandert sind für die Problematik verantwortlich sind. Tatsache ist für mich, das die übereilte Wiedervereinigung mit dem Osten die ganze Probleme ausgelöst hat.

Ich persönlich, kann zu keinem Ausländer der hier seit 30 Jahren arbeitet und Steuern zahlt sagen, geh wieder in dein Land zurück wenn ich Ostdeutsche habe, die es nicht getan haben.

Die höchste Arbeitslosenquote gibt es im Osten, hier gibt es nicht viele Ausländer die man für die Arbeitslosigkeit verantwortlich machen kann. Hier versickern unsere Steuern!

Wenn wir die Ausländer ausweisen würden um Arbeitsplätze für (Ost-) Deutsche zu schaffen, wozu bräuchten wir dann noch den Osten, der seit der Wende von unseren und den hier lebenden Ausländischen Mitbürgern Jahrzente lang bezahlten Steuern saniert wurden.
Bevor ich mich als Ausländerfeind bekennen würde, bekenne ich mich als Feind der Wiedervereinigung.
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Horst
Veröffentlicht am 11.09.2009 08:40
Ja, die Zuwanderung brachte mehr Schaden als Nutzen.
Es ist ein Fakt, dass jahrzehntelang die Politik eine Zuwanderung in unsere Sozialsystem zugelasssen hat. Es wurde nicht selektiert. Wir haben nicht die intelligenten gut ausgebildeten Fachkräfte eingeladen, wie es z.B. Kanada, Amerika und Australien machte und macht. Nur so ist es zu erklären, dass wir heute Zuwanderer in der dritten Generation haben, die nicht deutsch sprechen und in dritter Generation von der Sozialhilfe leben.
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