Winterreise

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Dieser Artikel behandelt den von Franz Schubert komponierten Zyklus aus 24 Liedern. Für den gleichnamigen Film siehe Winterreise (Film)

Winterreise ist ein Liederzyklus, bestehend aus 24 Liedern für Singstimme und Klavier, den Franz Schubert im Herbst 1827, ein Jahr vor seinem Tod, vollendete. Der vollständige Titel des Liederzyklus lautet: Winterreise. Ein Cyclus von Liedern von Wilhelm Müller. Für eine Singstimme mit Begleitung des Pianoforte komponiert von Franz Schubert. Op. 89. Erste Abtheilung (Lied I–XII). Februar 1827. Zweite Abtheilung (Lied XIII–XXIV). October 1827.

Winterlandschaft

Inhaltsverzeichnis

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Entstehung[Bearbeiten]

Die Texte stammen von Wilhelm Müller (1794–1827). Die ersten zwölf Gedichte wurden von ihm unter dem Namen „Wanderlieder von Wilhelm Müller“ verfasst. „Die Winterreise. In 12 Liedern“ in Urania. Taschenbuch auf das Jahr 1823 veröffentlicht. Weitere zehn Werke erschienen 1823 in den Deutschen Blättern für Poesie, Literatur, Kunst und Theater. Es waren also zuerst nur 22 der 24 Gedichte veröffentlicht. Erst 1824 erschienen unter dem Namen „Gedichte aus den hinterlassenen Papieren eines reisenden Waldhornisten. Zweites Bändchen. Lieder des Lebens und der Liebe“ alle Gedichte zusammen, erweitert um „Die Post“ und „Täuschung“.

Müller kam aus Dessau und verkehrte im schwäbischen Dichterkreis um Ludwig Uhland, Justinus Kerner, Wilhelm Hauff und Gustav Schwab. Beeinflusst wurde er von den Romantikern Novalis (Friedrich von Hardenberg), Clemens Brentano und Achim von Arnim. Franz Schubert fühlte sich von den Texten unmittelbar angesprochen und vertonte sie im Todesjahr Wilhelm Müllers, ein Jahr vor seinem eigenen Tod.

Die ersten 12 Gedichte verarbeitete er, laut Autograph, im Februar 1827. Diese wurden dann am 24. Januar 1828 von dem Wiener Verleger Tobias Haslinger veröffentlicht. Wahrscheinlich im Spätsommer 1827 stieß Schubert dann auf die restlichen 12 Gedichte, die er nun auch vertonte. Diese wurden, ebenfalls von Tobias Haslinger, erst sechs Wochen nach Schuberts Tod, am 31. Dezember 1828 veröffentlicht. Schubert und Müller sind sich nie persönlich begegnet. Ob Müller noch vor seinem Tode 1827 von Schuberts Vertonungen erfuhr, ist unklar.

Inhalt[Bearbeiten]

Schubert, „Gute Nacht“ Takt 7-11

„Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh’ ich wieder aus“ – mit diesen Versen beginnt die „Winterreise“, einer der bekanntesten Liederzyklen der Romantik, mit dem Schubert eine Darstellung des existentiellen Schmerzes des Menschen gelang. Im Verlauf des Zyklus wird der Hörer immer mehr zum Begleiter des Wanderers, der zentralen Figur der Winterreise. Dieser zieht nach einem Liebeserlebnis aus eigener Entscheidung ohne Ziel und Hoffnung hinaus in die Winternacht. Das Werk Müllers kann auch als politische Dichtung begriffen werden, in der er seine von den Fürsten enttäuschte und verratene Vaterlandsliebe (d.h. die Hoffnung auf Freiheit, Liberalismus und Nationalstaat) thematisiert.[1]

Innerhalb des Zyklus lässt sich kein durchgehender Handlungsstrang erkennen. Es handelt sich eher um einzelne Eindrücke eines jungen Wanderers. Auf den 24 Stationen seines passionsgleichen Weges ist er zunächst starken Stimmungsgegensätzen von überschwänglicher Freude bis hin zu hoffnungsloser Verzweiflung ausgesetzt – von Schubert durch den häufigen Wechsel des Tongeschlechts verdeutlicht –, bevor sich allmählich eine einheitliche, jedoch vielfältig schattierte, düstere Stimmung durchsetzt.

Im Ausklang des Zyklus trifft der Wanderer auf den Leiermann, der frierend seine Leier dreht, aber von niemandem gehört wird. Die Melodie erstarrt hier zur banalen Formel, das musikalische Leben hat sich verflüchtigt und das Gefühl scheint aus einem verloschenen Herzen entwichen zu sein – und doch gelingt Schubert in dieser Szenerie unendlicher Hoffnungslosigkeit hier eines seiner anrührendsten und gleichzeitig schlichtesten Lieder.

Mit der Frage „Willst zu meinen Liedern deine Leier dreh’n?“ endet die „Winterreise“. Manche sehen in diesem Lied die Kunst als letzte Zuflucht dargestellt, andererseits wird der Leiermann, dem der Wanderer sich anschließen will, auch als Tod gedeutet. Eine dritte Deutung sieht in der „ewigen Leier“ den Ausdruck der Qual eines hoffnungslosen, aber immer fortdauernden Lebens.

Politische Deutungen der Winterreise[Bearbeiten]

Durch Veröffentlichungen verschiedener Autoren ist in den vergangenen Jahren eine zweite Deutungsebene der Winterreise publik geworden.[2] Mit der Vertonung von Zeilen wie „Hie und da ist an den Bäumen manches bunte Blatt zu seh'n“ (Lied 16; Hoffnung) habe Schubert auch ganz bewusst und gezielt subtile Kritik am herrschenden System geübt. So stehe der Winter bei ihm auch als Metapher für das System der reaktionären Restauration unter Kanzler Metternich. Schubert, der enge Kontakte zu den Kreisen der Opposition unterhielt, sei durch seine exponierte Begabung ein wichtiges Sprachrohr der Intellektuellen gewesen. Auch das folgende Lied, Im Dorfe („Es bellen die Hunde, es rasseln die Ketten, ...“), spricht für diese Interpretation. Einer Razzia beim Dissidentenverein seiner Freunde im Jahr 1826 entging Schubert nur durch eine frühzeitige Warnung. Die 1822 verbotene Leipziger Literaturzeitschrift Urania mit den Texten des Dichters Wilhelm Müller hatte sich Schubert illegal besorgt. Eine ausführliche Deutung der verschlüsselten Textstellen hat der Astrophysiker und Musiker Andreas Goeres publiziert.[3] Eine andere politische Deutung hat Reinhold Brinkmann vorgelegt: Der Harvard-Musikologe sieht die Winterreise als Allegorie auf die "heil'ge Kunst", welche die Ideen der revolutionären "Zeit der Kraft und Tat" bewahre.[4]

Rezeption[Bearbeiten]

Der Zyklus wurde von nahezu allen bedeutenden Liedsängern (Bass, Bariton, Tenor), aber auch von Sängerinnen (Mezzosopran, Alt, Sopran) interpretiert. Das Werk gilt neben dem Zyklus „Die schöne Müllerin“ als Höhepunkt der Gattung Liederzyklus und des Kunstlieds.[5] Es gilt sowohl technisch als auch interpretatorisch als große Herausforderung für Sänger und Pianisten. Über 50 verschiedene Einspielungen existieren auf Schallplatte und CD.

Der deutsche Komponist Hans Zender bearbeitete das Werk unter dem Titel: „Schuberts Winterreise – eine komponierte Interpretation“ für Tenor und kleines Orchester (Uraufführung: 1993) unter enger Anlehnung an Schuberts Tonsprache und Einbeziehung von wirkungsvollen verfremdenden Klangeffekten, welche die eisige Kälte und metaphysische Düsternis des Werkes noch betonen.

Eine weitere Orchesterbearbeitung nahm der Japaner Yukikazu Suzuki vor. Sie war gedacht für Hermann Prey, der sie 1997 in Bad Urach uraufführte.

Eine Bearbeitung für Gitarre stammt von Rainer Rohloff.[6] Die Uraufführung fand 2009 in Berlin statt. Er trug sie gemeinsam mit dem Schauspieler Jens-Uwe Bogadtke im Februar/März 2010 auf einer Deutschland-Tournee vor.

Nach dem Vorbild einer Version für Viola und Klavier von Tabea Zimmermann hat der österreichische Bratschist Peter Aigner die Winterreise ebenfalls für Viola bearbeitet, seine Bearbeitung wird jedoch ergänzt von einer szenischen Realisation der Texte von Wilhelm Müller durch einen Schauspieler. Diese Version erlebte bereits mehrere Aufführungen in Österreich und Deutschland.

Der österreichische Komponist und Drehleierspieler Matthias Loibner bearbeitete die Winterreise für Drehleier und Sopran und führt sie in dieser Bearbeitung seit 2009 mit der Sopranistin Nataša Mirkovic - De Ro auf.

Der griechisch-österreichische Komponist Periklis Liakakis bearbeitete 2007 die 1. Abteilung und 2012 die 2. Abteilung des Werkes für die Besetzung Bariton-Viola-Violoncello-Kontrabass. Das neue Werk trägt den Titel Winter.reise.bilder - eine Schubert Übermalung.

Nach dem Vorbild von Franz Schuberts Liederzyklus drehte Hans Steinbichler 2006 den Film „Winterreise“ mit Josef Bierbichler und Hanna Schygulla.

Der gehörlose Schauspieler Horst Dittrich übersetzte den Text des Liederzyklus im Jahr 2007 in die österreichische Gebärdensprache und führte ihn in den Jahren 2008 und 2009 Wien, Salzburg und Villach in einer Produktion der ARBOS - Gesellschaft für Musik und Theater mit dem Pianisten Gert Hecher und dem Bassbariton Rupert Bergmann auf.[7]

Der Autor Stefan Weiller verbindet seit 2009 im Kunstprojekt Deutsche Winterreise Lebensgeschichten wohnungsloser und sozial ausgegrenzter Menschen mit dem Liederzyklus im Rahmen einer Musik- und Textperformance zugunsten sozialer Träger.

Der Kantor und Komponist Thomas Hanelt bearbeitete im Jahr 2011 zwölf Stücke des Zyklus für gemischten Chor und Klavier.

Musikalische Grundmotive des Zyklus[Bearbeiten]

Der Musikwissenschaftler Harry Goldschmidt sieht „den gesamten Zyklus durch einige ‚Grundmotive‘ zusammengehalten“. Nach ihm kehren diese drei schon in den beiden Einleitungstakten erkennbaren „Grundmotive“ von Lied zu Lied in immer neu variierter Gestalt wieder. Als erstes Motiv sieht Goldschmidt den gleichmäßigen Achtelgang mit Ton- bzw. Akkordwiederholungen, der z.B. in den beiden Anfangstakten in der linken Hand realisiert ist. Das zweite Motiv ist die abfallende Linie bzw. Gesangslinie, wie sie in der Oberstimme der rechten Hand in Takt 1-3 und in der Gesangslinie in Takt 7 und 8 verwirklicht ist. Das dritte Motiv ist die mit Akkorddissonanzen zusammenfallende Wechselnote wie in der Oberstimme der rechten Hand am Ende von Takt 2 und in Takt 3 sowie in der Gesangsstimme in Takt 9.[8]

Nach Goldschmidt hat jedes „Grundmotiv“ seine eigene auf den Text bezogene außermusikalische Bedeutung. Das erste Motiv steht mit seiner „starren Regelmäßigkeit“ für den „einförmigen Gang durch Nacht und Winter“. Das zweite Motiv mit seiner fallenden Gesangslinie repräsentiere die „Mattigkeit“ mit der sich der „Hinausgetriebene“ durch die Einöde schleppt. Das dritte Motiv beschreibt Goldschmidt recht nebulös als das „Verschwiegenste“, „Motiv der Motive“ und „der Schmerz, die Wunde“.[9]

In diesen zyklenübergreifenden Motiven sieht Goldschmidt die „von Beethoven mit letzter Konsequenz verfolgte zyklische Einheit zusammengehöriger Instrumentalsätze“, die Schubert vor allem in seinen Streichquartetten übernommen hat, auch auf sein Liedschaffen übertragen.[9]

Einen „übergreifenden zyklischen Zusammenhang“ der sich nicht mehr mit dem „überkommenen Liedbegriff“ wie beispielsweise noch in Die schöne Müllerin befolgt vereinbaren ließ, sieht auch Elmar Budde.[10] Allerdings sieht er im Gegensatz zu Goldschmidt den liedübergreifenden Zusammenhang eher durch „musikalische Bezüge aufgrund klanglicher Nähe der Tonarten“ als durch „motivische Klammern“ verwirklicht.[10]

Lieder[Bearbeiten]

Im Nachfolgenden sind die Titel der Lieder mit ihren Deutsch-Verzeichnis-Nummern und kurzer analytischer Beschreibung aufgelistet.

1. „Gute Nacht“ (Fremd bin ich eingezogen) D 911,1 d-Moll[Bearbeiten]

Text: Das lyrische Ich nimmt Abschied von seiner bisherigen Bleibe und – vor allem – seiner Liebsten. Die Liebesbeziehung zwischen den beiden war glücklich (Das Mädchen sprach von Liebe, die Mutter gar von Eh’), musste jedoch beendet werden - sei es weil die Geliebte sich einem anderen zuwandte oder weil ihr Vater die Beziehung wegen des Standesunterschiedes untersagte. So bricht das lyrische Ich in einer Winternacht auf und schreibt seiner Geliebten, die bereits schläft, einen Gute-Nacht-Gruß ans Tor. Die Verarbeitung dieses Verlustes ist das Thema des folgenden Gedichtzyklus.

Musik: Es handelt sich um ein variiertes Strophenlied: Die ersten beiden Strophen sind musikalisch identisch, die dritte und vierte Strophe variieren. Die durchgehende Achtelbegleitung in der Klavierstimme kennzeichnet das Lied als ein für die Winterreise typisches Gehlied, da sie die Schritte des lyrischen Ichs darstellt, welches ziellos umherwandert. Die stetigen Achtel (Grundmotiv 1) verleihen dem Lied außerdem Schwere, welche durch die durchweg fallende Melodie der Gesangstimme in den Moll-Teilen (Grundmotiv 2) zusätzlich verstärkt wird. Bei dem Wort „die Liebe“, erstmalig ab Takt 15, richtet sich die fallende Linie des Grundmotivs 2 in F-Dur auf. Die vierte Strophe steht in der gleichnamigen Durtonart D-Dur, da das lyrische Ich hier seine Geliebte anspricht und sich nach der Vergangenheit sehnt. In den letzten 2 Takten der vierten Strophe wird aus D-Dur wieder d-Moll. Das abschließende Klaviernachspiel, in welchem die Oberstimme von a'' auf d' hinabfällt und nur noch die monotone Achtelbewegung herrscht, deutet bereits die Hoffnungslosigkeit der Situation des lyrischen Ichs an.

2. „Die Wetterfahne“ (Der Wind spielt mit der Wetterfahne) D 911,2 a-Moll[Bearbeiten]

Text: Das lyrische Ich nimmt Anstoß an der Wetterfahne, welche auf dem Haus seiner Geliebten steht. Sie wird als Symbol des gehobenen Bürgertums gedeutet; der Text legt nahe, dass die Liebesbeziehung des lyrischen Ichs abgebrochen wurde, weil das Elternhaus der Liebsten ihr einen wohlhabenderen Ehemann ausgesucht hat. Das lyrische Ich sieht sich in Bedeutungslosigkeit versinken (Was fragen sie nach meinen Schmerzen? Ihr Kind ist eine reiche Braut.).

Musik: Die Klaviereinleitung im zweiten Teil von Takt zwei und in Takt 3 bezieht sich mit einer Variation des abfallenden Grundmotivs 2 auf das erste Lied.[11] Die Klavierbegleitung besteht auf weiten Strecken aus einer Melodie, die von beiden Händen im Oktavabstand gespielt wird und mit der Singstimme identisch ist (Unisono). Die Oktavverschiebung gibt dem Lied einen schaurigen[12] Charakter, welcher durch das schnelle Tempo, Triller, Vorschläge und arpeggierte Akkorde verstärkt wird. Auch hier findet sich bei der Erwähnung der reichen Braut die gleichnamige Durtonart, um die Erinnerung an die Geliebte aufzuzeigen. Das Lied endet ohne Akkord auf einer a-Oktave.

3. „Gefror’ne Thränen“ (Gefror’ne Tropfen fallen) D 911,3 f-Moll[Bearbeiten]

Text: Das lyrische Ich bemerkt, dass Tränen gefroren von seinen Wangen fallen, und wundert sich, weshalb diese zu Eis erstarren können, da sie doch aus der heißen Sehnsucht nach seiner Liebsten geboren werden.

Musik: Die Klavierbegleitung wird von zwei rhythmischen Elementen geprägt: einmal der synkopischen Halben auf dem zweiten Schlag in der linken Hand und einmal durch die viertelbetonte rechte Hand, die oft auf dem zweiten Schlag zwei Achtel hat. Durch die starke Viertelorientierung kann wie bei Gute Nacht von einem Gehlied gesprochen werden. Vorangetrieben wird das Lied auch durch die oft auftretende Dominante auf dem vierten Schlag. Die oft staccatierten Viertel symbolisieren die Tränen des lyrischen Ichs. Der plötzliche Forte-Ausbruch am Ende (des ganzen Winters Eis) verdeutlicht den aufgewühlten Zustand des lyrischen Ichs, welcher noch oft – vor allem musikalisch – thematisiert wird.

4. „Erstarrung“ (Ich such’ im Schnee vergebens) D 911,4 c-Moll[Bearbeiten]

Text: Das lyrische Ich wandert durch den Schnee, sucht die Spur seiner Geliebten und weint ihr nach. Die Natur ist tot (die Blumen sind erstorben) und so bleibt dem lyrischen Ich als Erinnerung an seine Liebste nur der Schmerz. Es beschließt, ihr Bild in seinem Herzen einzuschließen und sich nie wieder zu verlieben (schmilzt je das Herz mir wieder, fließt auch ihr Bild dahin).

Musik: Die Begleitung besteht durchgehend aus sehr schnellen Achteltriolen und einer immer wiederkehrenden Bassmelodie. Dies verdeutlicht die emotional angetriebene, durchaus auch hektische Suche des lyrischen Ichs nach Spuren der Vergangenheit. Beim Ausruf mit meinen heißen Tränen findet sich das As als einer der höchsten Töne der Singstimme in der Winterreise. Sehr deutlich wird der Gedanke an die Vergangenheit im Mittelteil (Wo find’ ich eine Blüthe?), der in As-Dur steht, jedoch wird die Rückerinnerung musikalisch durch anhaltende verminderte Akkorde zunichtegemacht.

5. „Der Lindenbaum“ (Am Brunnen vor dem Thore) D 911,5 E-Dur[Bearbeiten]

Hauptartikel: Am Brunnen vor dem Tore

Text: Das lyrische Ich kommt bei seiner Wanderung an einem Lindenbaum vor dem Tor der Stadt vorbei, den es nun zum letzten Mal sieht. (Der Lindenbaum wird in der romantischen Literatur häufig als Symbol für Heimat und Geborgenheit verwendet.) Das lyrische Ich fühlt sich stark zum Baum hingezogen und muss beim Vorbeiwandern die Augen schließen und sich zwingen, sich nicht umzudrehen, da der Lindenbaum eine ungeheure Anziehungskraft auf es auswirkt. Der Vers Du fändest Ruhe dort lässt sich als Todessehnsucht ausdeuten, der sich das lyrische Ich hier widersetzt.

Musik: Das Lied wird mit einem Vorspiel eingeleitet, das durch die Sechzehnteltriolen und die Bewegung in der Oberstimme stark an das vorherige Lied (Achteltriolen und Basslauf) erinnert. Die zunächst homophone, unterordnende Begleitung der Singstimme gibt dem Lied einen volkstümlichen Charakter. Die Tonart E-Dur spiegelt die Entrücktheit des lyrischen Ich wider, das hier in der Vergangenheit gefangen ist und ihr kaum entkommen kann. Die Textpassagen, welche sich auf die Gegenwart beziehen, sind in Moll vertont: Die oktavverschobenen Begleitstimmen in der ersten Passage (Ich musst’ auch heute wandern) erinnern an Die Wetterfahne, die zweite Stelle (Die kalten Winde bliesen) bildet mit ihren vielen Halbtonverschiebungen einen starken Kontrast zum Rest des Liedes. Das Lied endet wieder in E-Dur.

6. „Wasserfluth“ (Manche Thrän’ aus meinen Augen) D 911,6 e-Moll[Bearbeiten]

Text: Das lyrische Ich spricht hier die Natur an. Es versucht, sie mit seinen fallenden Tränen zu verändern und durch den schmelzenden Schnee, der in das Dorf zurückfließt, einen vagen Kontakt zu seiner Liebsten aufzunehmen.

Musik: Das fast immer gleichbleibende viertaktige Rhythmusostinato im Klavier erinnert durch die Punktierung und das langsame Tempo an einen Trauermarsch. Durch das Forte, das immer wieder spontan aus dem Pianissimo herausbricht, werden emotionale Ausbrüche des lyrischen Ichs verdeutlicht.

7. „Auf dem Flusse“ (Der du so lustig rauschtest) D 911,7 e-Moll[Bearbeiten]

Text: Das lyrische Ich befindet sich auf einem zugefrorenen Fluss. Es ritzt in das Eis den Namen seiner Liebsten. Nun vergleicht es sein Herz mit dem Bach: Es ist an der Oberfläche zugefroren, ist aber darunter völlig aufgewühlt (Ob's unter seiner Rinde wohl auch so reißend schwillt?). Der Wanderer hat die Liebe noch nicht vergessen. Sein Herz lässt sich, genauso wie die Eisschicht auf dem Fluss, leicht verletzen (In deine Decke grab’ ich mit einem spitzen Stein).

Musik: Die Begleitachtel am Anfang erinnern trotz Staccato an Gute Nacht, es handelt sich wieder um ein Gehlied. Gleichzeitig symbolisiert das stockende Staccato die zugefrorene Rinde. Außerdem stellt es den Herzschlag des Wanderers dar. Das untergründige Schwellen wird durch Begleitsechzehntel ausgedrückt, die sich im Laufe des Stücks immer mehr häufen und schneller werden; am Ende sind es Zweiunddreißigstel. Die Rückerinnerung an die Geliebte ist - wie immer - wieder in der gleichnamigen Durtonart gehalten. Die fünfte, letzte Strophe wird durch mehrmalige Wiederholung stark betont, da hier im Gegensatz zu den ersten beiden Strophen wieder auf den psychischen Zustand des lyrischen Ichs eingegangen wird: Unter seiner Rinde ist es stark aufgewühlt und lässt sich wieder zu lauten Ausrufen hinreißen (ob's wohl auch so reißend schwillt?).

8. „Rückblick“ (Es brennt mir unter beiden Sohlen) D 911,8 g-Moll[Bearbeiten]

Text: Das lyrische Ich flüchtet aus der Stadt seiner Liebsten, wo es von Krähen hinausgejagt worden ist. Es erinnert sich daran, wie es in die Stadt gezogen und dort freundlich empfangen worden war. Es sehnt sich wieder zurück zum Haus seiner Liebsten.

Musik: Das Lied ist eines der hektischsten in der Winterreise, was vor allem durch die durchgängigen Achtel, verbunden mit den Sechzehntel-Nachschlägen im Klavier, bewirkt wird, die sich durch das ganze Lied ziehen; das Lied ist wieder ein Gehlied. Gleichzeitig zeigt sich hier sehr deutlich der Kontrast von Gegenwart und Vergangenheit, der wiederum durch das Überwechseln in die Varianttonart G-Dur verdeutlicht wird. Die Singstimme hat in der ersten Strophe fast nur Achtel und Sechzehntel, was seine Hektik und Flucht untermalt (Ich möcht’ nicht wieder Athem holen, bis ich nicht mehr die Thürme seh’). In der zweiten Strophe – der Erinnerung an die Vergangenheit – werden die Sechzehntelpausen zwischen den Synkopen aufgefüllt. Zusammen mit der Bindung der Achtel in der linken Hand und der Durtonart wird die Gegenwart der ersten Strophe kontrastiert. In der dritten Strophe kehrt das Lied zunächst zurück nach Moll, endet aber in Dur, da sich das lyrische Ich zurückwünscht und nicht von der Vergangenheit loskommt.

9. „Irrlicht“ (In die tiefsten Felsengründe) D 911,9 h-Moll[Bearbeiten]

Text: Das lyrische Ich wird von einem Irrlicht getäuscht und verirrt sich im Gebirge. Es vergleicht das Wirken des Irrlichts mit den Wirren seines Lebens und denkt über den Tod nach (’s führt ja jeder Weg zum Ziel; jeder Strom wird’s Meer gewinnen, jedes Leiden auch sein Grab).

Musik: Das Irrlicht wird durch unstete Rhythmik im Klavier veranschaulicht, wobei Schubert des Öfteren im Takt die schnellen Notenwerte vor die langsamen setzt, was beim Hören als irritierend empfunden wird. Die vielen Punktierungen erinnern wie in Wasserfluth an einen Trauermarsch, der hier angesichts der Erwähnung des Grabes angemessen erscheint.

10. „Rast“ (Nun merk’ ich erst, wie müd’ ich bin) D 911,10 c-Moll[Bearbeiten]

Text: Das lyrische Ich fühlt sich müde, als es eine Rast einlegt. Aber der seelische Schmerz meldet sich nun, da das Wandern nicht mehr als Ablenkung vorhanden ist, umso stärker zurück.

Musik: Der Rast zum Trotz handelt es sich wieder um ein Gehlied wegen der immer präsenten Achtel. Schubert orientiert sich hier vor allem an der zweiten Strophe (Doch meine Glieder ruh’n nicht aus, so brennen ihre Wunden). Ein gewisses Rastgefühl wird durch die meist nur taktweise wechselnde Harmonik vermittelt. Wieder drückt die Singstimme durch einen lauten Ausruf (mit heißem Stich sich regen!) die emotionale Aufruhr des lyrischen Ichs aus.

11. „Frühlingstraum“ (Ich träumte von bunten Blumen) D 911,11 A-Dur [Bearbeiten]

Text: Das lyrische Ich wird brutal aus einem schönen Frühlingstraum gerissen und sucht aus der Realität den Weg zurück in seinen Traum (Ihr lacht wohl über den Träumer, der Blumen im Winter sah?). Wieder zurück in der Erinnerung an den Traum erinnert sich das lyrische Ich an die Nähe seiner Geliebten. Das lyrische Ich ist unfähig, die Erinnerung an die Vergangenheit zu verdrängen, und sehnt sich zurück in den Frühling (Wann grünt ihr Blätter am Fenster? Wann halt’ ich mein Liebchen im Arm?).

Musik: Die Musik ist hier in drei Ebenen unterteilt: zuerst der wiegende Sechsachteltakt, der den schönen Traum verkörpert; dann das brutale Erwachen, das mit schnellem Tempo, Wechsel in Moll, Staccato und tiefem, drohendem Sechzehnteltremolo ausgedrückt wird, und schließlich das Zurücksehnen nach dem Traum, das durch den konkreten Zweivierteltakt näher an der Realität liegt und durch die Rückkehr nach Dur gleichzeitig das Festhalten am Traum und der Vergangenheit verdeutlicht. Diese drei Teile werden bei den zweiten drei Textstrophen wiederholt. Der Schluss des Liedes verweigert aber die Rückkehr nach Dur, das Verharren in der dunklen Mollvariante kann als Hinweise auf die Hoffnungslosigkeit des Wanderers gesehen werden. Die abschließende Frage des Liedes (Wann halt’ ich mein Liebchen im Arm?) wird durch die Musik durch die erklingende Molltonika negativ beschieden.

12. „Einsamkeit“ (Wie eine trübe Wolke) D 911,12 h-Moll[Bearbeiten]

Text: Das lyrische Ich vergleicht sich mit einer einzelnen Wolke am klaren Himmel. Ihm begegnen beim Wandern Ruhe und Frohsinn. Durch diese Eindrücke fühlt es sich noch elender (Als noch die Stürme tobten, war ich so elend nicht.).

Musik: Dieses Lied wird in der ersten Strophe von durchgehenden Achteln geprägt und ist deshalb zuerst ein Gehlied. Die Einsamkeit des lyrischen Ichs wird durch die vielen unvollständigen Zweiklänge und die wenigen Töne, aus der die Begleitung zunächst besteht, verdeutlicht. In der zweiten Strophe orientiert sich die Begleitung stark an den Stürmen mit Tremoli und Sechzehnteltriolen. Die elende Stimmung des lyrischen Ichs wird mit dem tief gesetzen Schlussakkord deutlich. Wichtig ist, dass Schubert dieses Lied als Endlied des ersten Teils des Zyklus komponierte und veröffentlichte, da der zweite Teil des Liederzyklus, also die Lieder 13 bis 24, erst nach seinem Tod veröffentlicht wurde.

13. „Die Post“ (Von der Straße her ein Posthorn klingt) D 911,13 Es-Dur[Bearbeiten]

Text: Das lyrische Ich hört ein Posthorn und fühlt sich freudig erregt, ohne zunächst zu wissen, warum. Dann fällt ihm ein, dass die Post aus der Stadt seiner Geliebten kommt, sein Herz möchte umkehren und noch einmal zu ihr gehen.

Musik: Der durchgehend punktierte Rhythmus erinnert an Hufgetrappel von Pferden der Postkutsche (dieselbe Methode verwendete Schubert in seiner Vertonung von Goethes Erlkönig). Das durchgehende Es-Dur erzeugt einen fröhlichen Charakter, was wohl daran liegt, dass das lyrische Ich hier sehr rational denkt (Nun ja, die Post kommt aus der Stadt, wo ich ein liebes Liebchen hatt’). Das wird auch durch die oftmalige Wiederholung der Anrede mein Herz am Ende jedes Satzes ausgedrückt: Der Verstand redet auf die Seele ein. Die unterschwellig schmerzliche Rückerinnerung deutet Schubert nur mit einem Rückgang der Dynamik ins Pianissimo an.

14. „Der greise Kopf“ (Der Reif hat einen weißen Schein) D 911,14 c-Moll[Bearbeiten]

Text: Der Raureif auf dem Kopf gibt dem lyrischen Ich die Illusion von weißen Haaren; er schmilzt aber bald, sodass die Illusion vergeht. Das lyrische Ich klagt darüber, dass es so langsam altert, und wünscht sich den Tod. Gleichzeitig fürchtet es sich vor der Zukunft, denn die Zeit, die es noch zu leben gilt, wird als unerträglich lang empfunden. Das lyrische Ich befindet sich auf dem tiefsten Punkt seiner Depression auf seiner bisherigen Reise.

Musik: Das Klavier hat eine deutliche Begleitrolle; es untermalt den Sänger mit langen Akkorden, übernimmt nur in Zwischenspielen die Melodie. Stellenweise ist das Lied sehr rezitativisch. Bei den Worten wie weit noch bis zur Bahre! tritt die Begleitung deutlich hervor, indem das Klavier eine oktavversetzte Bewegung spielt, die den Text schaurig untermalt. Die Ruhe und Trägheit, die das ganze Lied beherrscht, spiegeln den Todeswunsch des lyrischen Ichs wider.

15. „Die Krähe“ (Eine Krähe war mit mir) D 911,15 c-Moll[Bearbeiten]

Text: Eine Krähe folgt dem lyrischen Ich, seit es die Stadt verlassen hat. Das lyrische Ich glaubt, sie würde es als Beute ansehen, meint zu ihr, sein Leben würde bald zu Ende gehen, und verlangt von ihr Treue bis zum Grabe, was vermutlich eine zynische Anspielung auf die Floskel bis dass der Tod euch scheidet ist. Die Krähe wird fast als Freund angesprochen und ist gleichzeitig ein Symbol des Todes.

Musik: Die Klavierbegleitung ist sehr hoch gesetzt und symbolisiert mit den hohen Sechzehnteltriolen den Flug der Krähe. Das viertaktige Hauptmotiv des Liedes kehrt immer wieder und versinnbildlicht wohl das Kreisen der Krähe um den Kopf des lyrischen Ichs. Ein starker Ausruf erfolgt beim Wort Grabe, da es wieder die Todessehnsucht des lyrischen Ichs verdeutlicht.

16. „Letzte Hoffnung“ (Hie und da ist an den Bäumen) D 911,16 Es-Dur[Bearbeiten]

Text: Das lyrische Ich treibt ein Gedankenspiel: Es hängt seine Hoffnung an das Blatt eines Baumes, sieht es im Wind zittern und schließlich abfallen. Es sieht alle Hoffnung gestorben und begräbt sie weinend in Gedanken.

Musik: Die Singstimme dieses Liedes hat kein melodisches Eigengewicht, Melodie und Begleitung bilden gemeinsam die Harmonik. Deshalb ist die Harmonie an vielen Stellen schwer greifbar. Erst in Takt 8 wird die Tonika Es-Dur erreicht. Dies spiegelt die Entrücktheit des lyrischen Ichs wider. Das Zittern des Blattes wird durch ein Tremolo ausgedeutet, das Fallen durch eine fallende Bewegung im Bass. Bei den Worten wein’ auf meiner Hoffnung Grab wird das Lied plötzlich harmonisch und homophon. Mit diesem kirchenmusikalischen Charakter wird der Tod der Hoffnung ausgedrückt.

17. „Im Dorfe“ (Es bellen die Hunde, es rasseln die Ketten) D 911,17 D-Dur[Bearbeiten]

Text: Das lyrische Ich läuft nachts durch ein Dorf und wird von knurrenden und bellenden Kettenhunden verfolgt. Es sieht in Gedanken die Menschen von Dingen träumen, die sie nicht haben. Die Träume der Menschen werden als Hoffnung angesehen, das lyrische Ich aber ist am Ende mit allen Träumen, hat also keine Hoffnung mehr.

Musik: Die halbtaktige Begleitung aus Achtelakkorden und Sechzehnteltremoli stellt - sehr lebensecht - die knurrenden und bellenden Hunde dar. Der Mittelteil, in dem über die Träumer gesprochen wird, hat eine Begleitung, die sich mehr an die Gesangsstimme schmiegt, aber das monotone, sich immer wiederholende d in der Oberstimme gibt dem Teil einen bitteren Beigeschmack. Der zweitaktige homophone Ausbruch am Schluss (was will ich unter den Schläfern säumen?) erinnert stark an das Ende des vorigen Liedes: Nach der Hoffnung gibt das lyrische Ich nun auch seine Träume auf.

18. „Der stürmische Morgen“ (Wie hat der Sturm zerrissen) D 911,18 d-Moll[Bearbeiten]

Text: Das lyrische Ich betrachtet einen Morgenhimmel, der vom Sturm verunstaltet ist: Die Wolken sind zerfetzt und die Sonne steht rot strahlend dahinter. Es vergleicht den Himmel mit dem Bild seines Herzens (der Winter kalt und wild!), eine ähnliche Betrachtung wie in Auf dem Flusse.

Musik: Das schnelle Tempo, das durchgängige Forte und der Wechsel zwischen gebundenen und staccatierten Tönen stellen den Sturm dar. Das Lied ist ähnlich wie Die Wetterfahne komponiert: Das Klavier spielt die Melodie in der Gesangstimme oktavparallel mit und erzeugt so eine schaurige Stimmung. Mit weniger als einer Minute ist das Lied das kürzeste der Winterreise.

19. „Täuschung“ (Ein Licht tanzt freundlich vor mir her) D 911,19 A-Dur[Bearbeiten]

Autograph „Täuschung“

Text: Das lyrische Ich folgt bei seiner Wanderung einem Licht, obwohl es weiß, dass die Hoffnung auf Wärme und Geborgenheit, die das Licht ausstrahlt, nur Täuschung ist. Diese Täuschung benutzt das lyrische Ich zur Ablenkung von seinem Elend. Der Text hat inhaltlich etwas Ähnlichkeit mit Irrlicht.

Musik: In der Begleitung fallen die durchgängigen Oktaven in der rechten Hand auf, die von der linken Hand akkordisch begleitet werden. Zusammen mit den vielen Tonrepetitionen in der Begleitung entsteht so ein vermeintlich fröhliches Lied, das sehr stark den Täuschungscharakter zum Vorschein bringt.

20. „Der Wegweiser“ (Was vermeid’ ich denn die Wege) D 911,20 g-Moll[Bearbeiten]

Text: Das lyrische Ich führt ein Selbstgespräch darüber, dass es auf versteckten Wegen wandert, um keinem anderen Menschen zu begegnen. Es fragt sich, warum es die Einsamkeit sucht, denn es scheint sein „thörichtes Verlangen“ selbst nicht ganz zu verstehen. Es sieht neben den vielen Wegweisern auf den Wegen einen, der es zu seinem Tod führt. Ihm wird also im übertragenen Sinne der Weg in sein Grab gewiesen. (Einen Weiser seh’ ich stehen unverrückt vor meinem Blick; eine Straße muss ich gehen, die noch keiner ging zurück.) Hier spiegelt sich wieder stark die Todessehnsucht des lyrischen Ichs wider.

Musik: Das Lied wird geprägt durch die vielen Tonrepetitionen sowohl in der Begleitung als auch im Gesang. Die durchgängigen Achtel zeigen wieder den Charakter eines Gehlieds. In einem kurzen Dur-Teil wird die Unschuld des lyrischen Ichs betont. Das langsame Tempo und die Tonrepetitionen symbolisieren den Tod, nach dem sich das lyrische Ich sehnt. (Diesen Ausdruck für den Tod verwendet Schubert in ähnlicher Weise in seinem Kunstlied Der Tod und das Mädchen.) In der zweiten Hälfte des Liedes verwendet Schubert ein Sequenzmodell, das bezeichnenderweise „Teufelsmühle“ (vgl. Voglerscher Tonkreis) genannt wird und mit dem immer neue überraschende Tonarten erreicht werden. Schubert drückt damit aus, dass der Wanderer orientierungslos ist und der bzw. die Wegweiser ihm auch nicht helfen. Der Bezug zum ersten Teil des Zyklus wird eng geknüpft; es lässt sich unter anderem durch die Grundtonart g-Moll ein Bezug zum Lied „Rückblick“ erkennen.

Aufbau: Teil A bis Takt 21, Teil B Takt 22–39, Teil A' Takt 41–55, Teil A'' Takt 56 bis Schluss

21. „Das Wirtshaus“ (Auf einen Todtenacker) D 911,21 F-Dur[Bearbeiten]

Text: Das lyrische Ich wandert über einen Friedhof und sieht in ihm ein Wirtshaus, in das es einkehren möchte. Doch da kein Grab offen ist, fühlt es sich abgewiesen (Sind denn in diesem Hause die Kammern all’ besetzt?). Das lyrische Ich fühlt sich tödlich schwer verletzt, womit sein Seelenzustand gemeint ist. Schließlich wandert es weiter.

Musik: Das Dur stellt zusammen mit dem extrem langsamen Tempo eines Trauermarsches die Verlockung des Todes dar (ähnlich wie bei Der Lindenbaum). Das homophon komponierte Lied erzeugt eine andachtsvolle Stimmung, um die Vorstellung des Friedhofes hervorzurufen. Das oft auftretende Moll steht für den Schmerz, den das lyrische Ich durch die Abweisung erfährt.

22. „Muth!“ (Fliegt der Schnee mir in’s Gesicht) D 911,22 g-Moll[Bearbeiten]

Text: Das lyrische Ich will die Schmerzen seiner Seele durch Fröhlichkeit unterdrücken und verdrängt sie. Um den Schmerz nicht zu fühlen, muss es stark übertreiben: Will kein Gott auf Erden sein, sind wir selber Götter! Der Unterdrückungsversuch ist ein Zeichen dafür, dass das lyrische Ich nicht mit seinem seelischen Schmerz fertig wird und letztlich daran zugrunde gehen muss.

Musik: Das Lied beginnt sehr ereignisreich und interessant, da der Rhythmus sehr stark variiert. Der ständige Wechsel zwischen den Tongeschlechtern macht dieses Lied sehr aufregend. Das Forte in diesem Lied zeigt das wahre Fühlen und Empfinden des lyrischen Ichs.

23. „Die Nebensonnen“ (Drei Sonnen sah ich am Himmel steh’n) D 911,23 A-Dur[Bearbeiten]

Text: Ausgehend von einem optischen Phänomen von Nebensonnen – worauf der Titel des Gedichtes eindeutig verweist – erzählt das lyrische Ich von drei Sonnen, die es am Himmel gesehen hat, die aber nicht seine gewesen seien. Es sagt, dass es selbst auch einmal drei Sonnen hatte, die besten zwei davon jedoch untergegangen sind. Nun wünscht es sich, dass die dritte ebenfalls untergehe. Diese dritte Sonne symbolisiert das Leben des lyrischen Ichs (bzw. seine Liebe), die anderen beiden wurden als Glaube und Hoffnung gedeutet; das lyrische Ich habe die ersten beiden der christlichen Tugenden auf seiner Wanderung verloren und wünscht nun, die ihn quälende Liebe ebenfalls zu verlieren. Nach einer anderen Deutung, die durch den Gebrauch dieses Bildes in anderen Texten Müllers bestätigt wird, sind mit den „besten zwei“ Sonnen die Augen seiner Liebsten gemeint.[13] Die beobachteten Nebensonnen sind nicht die seinen, da sie andern in’s Angesicht schauen, dadurch sieht der Protagonist sein Leben entwertet.

Musik: Wieder handelt es sich um einen homophonen Satz. Die Klavierbegleitung ist sehr tief gesetzt und wiederholt in den A-Teilen einen Sarabanden-Rhythmus, so wird den Sonnenerscheinungen Erhabenheit verliehen. Auffällig ist der geringe Ambitus der Singstimme (kleine Sexte), die sich das ganze Lied hindurch hauptsächlich in Sekundschritten bewegt. Durch den sich wiederholenden Rhythmus ergibt sich ein statischer, nicht vorantreibender Charakter, was die Ausweglosigkeit, Hoffnungslosigkeit und Todessehnsucht des lyrischen Ichs verdeutlicht.

Symbolik: In den „Nebensonnen“ findet sich Symbolik, die auf die Zahl Drei verweist. Sowohl der Dreiviertel-Takt, die drei Kreuze der Grundtonart A-Dur, die Form A–B–A und somit die dreimal erscheinende Melodie verkörpern und durchziehen das gesamte Stück.

24. „Der Leiermann“ (Drüben hinterm Dorfe) D 911,24 a-Moll[Bearbeiten]

Text: Das lyrische Ich bemerkt einen alten Leiermann, den niemand beachtet; seine Musik stößt auf absolutes Desinteresse, nur die Hunde knurren ihn an. Dennoch dreht er weiter an seiner Leier, und das lyrische Ich fragt sich, ob es mit ihm gehen und zu seiner Drehleier singen soll. Das statische Bild des immer weiterdrehenden Leiermanns, der doch nicht vorankommt, passt gut auf den Gemütszustand des lyrischen Ichs, der sich im Laufe seiner Reise entwickelt hat. Mit der Frage Wunderlicher Alter, soll ich mit dir geh’n? wird keine Hoffnung geweckt, dass sich das Leben des lyrischen Ichs doch noch zum Besseren wendet. Vielmehr besiegelt sie den unheilbaren Zustand der Hoffnungslosigkeit und schließt so den Gedichtzyklus ab.

Musik: Schubert orientiert sich stark am Bild der immer wiederkehrenden Leiermusik (der Drehleier, einem vom Rad gestrichenen Saiteninstrument, nicht dem Leierkasten): Die Begleitung besteht aus einer immer präsenten, gleichbleibenden Quinte aus a und e im Bass, die auf die Bordunsaiten der Leier anspielt; darüber erklingt eine kurze, wiederkehrende Leiermelodie. Das Lied ist monoton und durch seine Trägheit und Wiederholungen sehr statisch, was dem Text sehr gut entspricht. Auch dynamisch gibt es kaum Änderungen, nur beim letzten Vers (Willst zu meinen Liedern deine Leier dreh’n?) ertönt kurz ein Forte wie ein letztes Aufbäumen aus der Monotonie und Hoffnungslosigkeit des lyrischen Ichs. Die Musik bleibt aber offen und beantwortet die Frage nicht. Dieses Lied stand in der Originalversion in h-Moll, wurde aber vom Verleger nach a-Moll transponiert.[14] Zu der gleichbleibenden Quinte im Bass hat Schubert im ersten Takt einen Vorschlag notiert, der jedoch in allen Folgetakten fehlt. Einzelne Pianisten wie Ulrich Eisenlohr, Wolfram Rieger und Paul Lewis spielen in neuerer Zeit diesen Vorschlag gleichzeitig mit den Bassquinten als Sekundakkord und wiederholen dies durch alle Takte hindurch, so dass sich bis in den Schlusstakt hinein permanent wiederkehrende Dissonanzen ergeben. Diese vom Notentext abweichende Spielweise wird von dem Schubert-Forscher Michael Lorenz scharf kritisiert.[15]

Einspielungen (Auswahl)[Bearbeiten]

Verfilmungen[Bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten]

  • Elmar Budde: Schuberts Liederzyklen. Ein musikalischer Werkführer. C. H. Beck, München 2003, ISBN 3-406-44807-0.
  • Andreas Dorschel: Wilhelm Müllers „Die Winterreise“ und die Erlösungsversprechen der Romantik. In: The German Quarterly LXVI (1993), Nr. 4, S. 467-476.
  • Arnold Feil: Franz Schubert. „Die schöne Müllerin“, „Winterreise“. Philipp Reclam jun. Stuttgart 1996, ISBN 3-15-010421-1.
  • Veit Gruner: Ausdruck und Wirkung der Harmonik in Franz Schuberts „Winterreise“ – Analysen, Interpretationen, Unterrichtsvorschlag. Die Blaue Eule, Essen 2004, ISBN 3-89924-049-9.
  • Wolfgang Hufschmidt: Willst zu meinen Liedern deine Leier drehn? Zur Semantik der musikalischen Sprache in Schuberts „Winterreise“ und Eislers „Hollywood-Liederbuch“. Pfau-Verlag, Saarbrücken 1997, ISBN 3-930735-68-7.
  • Werner Kohl: Wilhelm Müllers „Die Winterreise“ oder wie Dichtung entsteht. Selbstverlag, München 2002, ISBN 3-00-009589-6.
  • Christiane Wittkop: Polyphonie und Kohärenz. Wilhelm Müllers Gedichtzyklus „Die Winterreise“. M & P Verlag für Wissenschaft und Forschung, Stuttgart 1994, ISBN 3-476-45063-5.
  • Ingo Müller: „Eins in Allem und Alles in Einem.“ Zur Ästhetik von Gedicht- und Liederzyklus im Lichte romantischer Universalpoesie. In: Günter Schnitzler, Achim Aurnhammer (Hrsg.): Wort und Ton. Freiburg i. Br. 2011, ISBN 978-3-7930-9601-6. S. 243–274.

Weblinks[Bearbeiten]

 Wikisource: Winterreise – Quellen und Volltexte

Einzelnachweise und Fußnoten[Bearbeiten]

  1. Hochspringen Erika von Borries, Florian Prey, Gert Westphal: Wilhelm Müller - Der Dichter der Winterreise. Eine Biographie. C.H. Beck, 2007, S. 150 u. 151.
  2. Hochspringen Frieder Reininghaus: Schubert und das Wirtshaus. Musik unter Metternich; Wolfgang Hufschmidt: Willst zu meinen Liedern deine Leier drehn
  3. Hochspringen Achim Goeres: ...was will ich unter den Schläfern säumen? Gedanken zu Schuberts Winterreise. Manuskript, Berlin 2001.
  4. Hochspringen Reinhold Brinkmann, Musikalische Lyrik, politische Allegorie und die "heil'ge Kunst", in: Atchiv für Musikwissenschaft 62 (2005), S. 75–97.
  5. Hochspringen Arnold Feil, Rolf Vollmann: Franz Schubert - Die schöne Müllerin, Winterreise, Wilhelm Müller und die Romantik. Reclam, Leipzig 1975, S. 202.
  6. Hochspringen schuberts-winterreise.de.
  7. Hochspringen Illusion von Franz Schubert und Wilhelm Müller, interpretiert von Horst Dittrich, Rupert Bergmann und Gert Hecher, auf dailymotion.com.
  8. Hochspringen Harry Goldschmidt: Schuberts „Winterreise“. In: Um die Sache der Musik – Reden und Aufsätze. Philipp Reclam jun., Leipzig 1970, S. 100 und 111.
  9. Hochspringen nach: a b Harry Goldschmidt: Schuberts „Winterreise“. In: Um die Sache der Musik - Reden und Aufsätze. Reclam, Verlag Philipp Reclam jun. Leipzig, 1970, S. 111.
  10. Hochspringen nach: a b Elmar Budde: Schuberts Liederzyklen. Ein musikalischer Werkführer. C.H. Beck, 2003, S. 67.
  11. Hochspringen Elmar Budde: Schuberts Liederzyklen - Ein musikalischer Werkführer, C.H. Beck, 2003, S. 79.
  12. Hochspringen Schubert selbst hat gegenüber über seinen Freunden – so berichtet Joseph von Spaun – im Herbst 1827 von „einem Kreis schauriger Lieder“ gesprochen, die er ihnen beim nächsten Treffen (→Schubertiaden) vorsingen wolle.
  13. Hochspringen Ludwig Stoffels: Die Winterreise: Die Lieder der ersten Abteilung. Verl. f. Systemat. Musikwiss., 1991, ISBN 3922626629, S. 13, mit Verweis auf die konkurrierende Deutung als Kardinaltugenden bei Zenck.
  14. Hochspringen Peter Gülke: Franz Schubert und seine Zeit, Laaber-Verlag, 2. Aufl. der Originalausgabe von 1996, 2002, S. 236.
  15. Hochspringen Michael Lorenz: Rezension der CD Naxos 8.554471, Schubert durch die Brille 25, Schneider Tutzing, Juni 2000.