Itavia-Flug 870

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Wechseln zu: Navigation, Suche
Itavia-Flug 870
I-TIGI.jpg
I-TIGI im Jahre 1972
Zusammenfassung
Datum 27. Juni 1980
Typ Abschuss durch Luft-Luft-Rakete
Ort 80 km nördlich der Insel Ustica
Getötete 81
Verletzte 0
Flugzeug
Flugzeugtyp DC-9
Fluggesellschaft Itavia
Kennzeichen I-TIGI
Abflughafen Bologna
Zielflughafen Palermo
Passagiere 77
Besatzung 4
Überlebende 0
Trümmer des Flugzeugs

Am Abend des 27. Juni 1980 stürzte Itavia-Flug 870, eine Douglas DC-9 der italienischen Gesellschaft Itavia, nördlich der italienischen Insel Ustica auf dem Wege von Bologna nach Palermo aus zunächst ungeklärter Ursache ins tyrrhenische Meer. Alle 81 Insassen starben bei diesem Flugzeugunglück, das als „strage di Ustica“ (das Ustica-Blutbad) in Italien bekannt wurde. Erst nach jahrelangen Ermittlungen wurde bekannt, dass das Flugzeug aufgrund eines Treffers durch eine militärische Luft/Luft-Rakete abgestürzt war. Ebenso stellte sich erst Jahre später heraus, dass in der Nähe des Absturzes gleichzeitig ein Luftkampf zwischen einer größeren Zahl bis heute nicht identifizierter Kampfflugzeuge der NATO, Frankreichs und zwei libyschen MiG-23 stattgefunden hatte. Ob die Itavia-Maschine irrtümlich dort hineingeriet oder durch eine Verwechslung abgeschossen wurde, ist ungeklärt und Gegenstand zahlreicher Spekulationen. Durch die sich seit nunmehr drei Jahrzehnten hinziehenden Ermittlungen und deren jahrelange massive Behinderung durch italienische Militärs und Geheimdienste ist Ustica bis heute ein sehr präsentes und emotionales Thema in Italien.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Die Geschehnisse

Das Flugzeug war mit Flugnummer IH870 auf dem Wege von Bologna nach Palermo. Der Start verspätete sich um zwei Stunden. Um 20:59 Uhr wurde das letzte Transpondersignal der Maschine aufgezeichnet, Radarechos verschwanden innerhalb von zwei Minuten.

Zuerst wurde davon ausgegangen, das Flugzeug sei aufgrund von Materialermüdung in der Luft auseinander gebrochen oder von einer Bombe im Rumpf zerrissen worden. Der Rumpf des Flugzeuges wurde 1987 von dem bemannten Unterseeboot Nautile des französischen halbstaatlichen Unternehmens Ifremer aus 3500 Meter Tiefe gehoben und die Überreste wurden untersucht. Der Flugschreiber wurde erst 1991 gefunden und geborgen. An den Überresten des Flugzeuges wurden später Spuren des militärischen Sprengstoffs T4 gefunden.

Auch viele Jahre nach dem Unglück konnte der genaue Hergang des Absturzes nicht rekonstruiert werden. Verschiedene Gutachten schlossen in der Folge ein Auseinanderbrechen der Maschine durch Alterung aus. Ein erstes Gutachten kam im März 1989 zum Schluss, dass das Flugzeug irrtümlich durch eine Luft-Luft-Rakete abgeschossen wurde. Diese Ansicht wurde durch eine staatliche Untersuchungskommission im gleichen Jahr bestätigt. 1990 kam eine Minderheit der Gutachter zu dem Ergebnis, dass es zu einer Explosion durch eine Bombe im Inneren der Maschine gekommen sei. Die Untersuchungskommission „commissione stragi“ des italienischen Parlamentes beklagte in diesem Zusammenhang auch Falschaussagen und das Zurückhalten von Informationen durch staatliche Stellen.

1994 kam ein zweites Gutachten mehrheitlich zu dem Ergebnis, dass es sich um eine Bombenexplosion im Inneren des Flugzeuges gehandelt habe; eine Minderheit der Gutachter sah hingegen weiterhin eine Rakete als Ursache an. Im Rahmen der zweiten Untersuchung konnte zweifelsfrei nachgewiesen werden, dass sich, anders als zuvor behauptet worden war, militärische Flugzeuge im Absturzgebiet aufhielten. Zum Zeitpunkt des Absturzes gab es offenbar Einsätze von NATO-Flugzeugen und französischen Flugzeugen über dem tyrrhenischen Meer. Radardaten lassen auf neun Jagdflugzeuge schließen.

Im 1999 veröffentlichten Untersuchungsbericht zog der Untersuchungsrichter Rosario Priore folgendes Fazit der Ermittlungen: „L’incidente al DC-9 è occorso a seguito di azione militare di intercettamento, il DC-9 è stato abbattuto,“ („Der Absturz der DC-9 erfolgte nach einer militärischen Abfangaktion, die DC-9 wurde abgeschossen,“) Unklar bleibt die Nationalität des Flugzeuges, welches die Rakete abgefeuert hat. In der Folge leitete Priore mehrere Prozesse gegen neun Offiziere – darunter vier Generäle – der italienischen Luftwaffe und des italienischen Geheimdienstes SIOS-Aeronautica ein, denen nachgewiesen werden konnte, dass sie wichtige Informationen zurückgehalten oder falsche Angaben gemacht hatten. Die Anklage lautete unter anderem auf Hochverrat, da Priore das Geschehen des 27. Juni 1980 als „atto di guerra“ also Kriegsakt gegen die Republik Italien wertete.

[Bearbeiten] Theorien

Da es inzwischen erwiesen ist, dass die DC-9 von einer Luft/Luft-Rakete abgeschossen wurde und es erwiesenermaßen am Abend des 27. Juni zu einem Luftkampf über dem tyrrhenischem Meer zwischen zwei MiGs der libyschen Luftwaffe und einer Gruppe von NATO-Jägern kam, konzentrieren sich die Ermittlungen heute auf die Frage, welcher Nationalität die beteiligten NATO-Flugzeuge waren, wie es zu dem Luftkampf kam und welches Flugzeug die Luft/Luft-Rakete abfeuerte. Eine im kalabrischen Sila-Gebirge (des Aspromonte) zerschellte libysche MiG-23, welche am 18. Juli 1980 entdeckt und von der italienischen Luftwaffe geborgen wurde, gilt heute als eines der am Luftkampf beteiligten Flugzeuge. Insbesondere da laut Obduktionsbericht der Verwesungsgrad der Leiche des Piloten einen Todeszeitpunkt um den 27. Juni vermuten ließ.

Nach einer Theorie geriet die DC-9 in einen französischen oder amerikanischen Angriff auf das vermutlich baugleiche Flugzeug des libyschen Staatschefs Muammar al-Gaddafi. Gaddafi befand sich damals auf dem Weg zu einem Staatsbesuch in Polen. Es wird behauptet, dass von einem US-Flugzeugträger im Mittelmeer oder einer amerikanischen Basis mehrere Abfangjäger gestartet seien, um die Maschine Gaddafis bei der Überquerung des tyrrhenischen Meeres abzuschießen. Libyen habe jedoch über einen Kontaktmann in Rom von den Plänen erfahren und die Maschine nach Malta umgeleitet. Parallel seien einige MiG-23 zum Schutz Gaddafis in den italienischen Luftraum beordert worden. Bei einem Luftkampf zwischen den MiGs und den französischen oder amerikanischen Flugzeugen sei dann versehentlich der zwei Stunden verspätet gestartete Flug 870 abgeschossen worden, da die französischen oder amerikanischen Piloten annahmen, es handle sich um das Flugzeug Gaddafis.

Eine andere Theorie besagt, dass zwei libysche MiGs auf dem Weg zu einer Wartung in Jugoslawien waren. Um die Flugstrecke abzukürzen hätten sie unerlaubt versucht italienisches Gebiet zu überfliegen. Die MiGs erschienen dann sowohl auf den Radars der italienischen, französischen und amerikanischen Luftraumüberwachung, welche jeweils Abfangjäger starteten. Es sei ein Luftgefecht gefolgt, bei dem sich die libyschen Kampfflugzeuge dem Passagierjet angenähert hätten, um in dessen Radarschatten ihren Verfolgern zu entkommen. Dabei habe eine für eine der MiG bestimmte Luft/Luft-Rakete unbekannter Herkunft das Passagierflugzeug irrtümlich getroffen.

Eine dritte Theorie, wie es zu dem verhängnisvollen Luftkampf kam, besagt, dass zwei libysche bzw. für Libyen bestimmte MiG-23 von Jugoslawien nach Libyen unterwegs waren. Nachdem sie die Adria im Tiefflug überquert und dadurch das italienische Radarnetz unterflogen hatten, hätten die zwei MiGs versucht, im Radarschatten der DC-9 unentdeckt von Bologna bis nach Palermo zu kommen. Als die DC-9 über der Toskana den Weg von zwei F-104 Starfightern der Aeronautica Militare beim Landeanflug auf den Militärflugplatz Grosseto kreuzte, hätten die Ausbilder Nutarelli und Naldini, welche die zweisitzige Trainerversion des Starfighters TF-104G flogen, die zwei MiGs entdeckt. Dies würde auch erklären, warum die beiden um 20:24 Uhr zweimal Luftalarm auslösten und anschließend unter Einhaltung von Funkstille zu ihrer Basis zurückkehrten.[1] Da Italien derartige Überflüge libyscher Flugzeuge jedoch stillschweigend duldete, landeten die Ausbilder und ihr Flugschüler wie geplant um 20:50 Uhr auf der Basis Grosseto. An jenem Abend befand sich nachweislich eine Boeing E-3 Sentry (AWACS-Luftaufklärer) der US-Airforce über dem tyrrhenischen Meer und unbestätigten Berichten zufolge kreuzte der französische Flugzeugträger Clemenceau mit seinen Begleitschiffen im tyrrhenischen Meer. Es wird vermutet, dass die Trägergruppen bzw. die E-3 Sentry die libyschen MiG entdeckten und daher Alarmrotten gestartet wurden. Unter anderem stiegen zwei Mirage Jäger der Armée de l’air von der Basis Solenzara in Korsika auf. Es wird angenommen, dass es diesen Alarmrotten gelang die libyschen MiGs zu stellen und im Verlaufe dieses Gefechts die DC-9 getroffen wurde.

Trotz der jahrelangen Ermittlungen und der inzwischen erfolgten Kooperation der NATO ist bis heute nur gesichert, dass:

[Bearbeiten] Todesfälle im Umfeld des Absturzes

Eine Reihe von Todesfällen von Offizieren der italienischen Luftwaffe führte zu Gerüchten, dass eine Verschwörung versuche, Mitwisser und Tatbeteiligte zu beseitigen.[3]

Eine inzwischen unüberschaubare Anzahl weiterer ungewöhnlicher Todesfälle in den Reihen der Aeronautica Militare wurde im Laufe der Zeit mit den Geschehnissen vom 27. Juni 1980 in Verbindung gebracht; meist mit der Begründung, die Verstorbenen seien kurz zuvor an geheime Informationen zum Fall Ustica gekommen. In den meisten Fällen lässt sich jedoch eine konkrete Verbindung zu Ustica nur mit Mühe konstruieren (siehe Oberst Pierangelo Teodoldi).

[Bearbeiten] Stellungnahme durch Napolitano

Anlässlich des dreißigsten Jahrestages forderte Italiens Staatspräsident Giorgio Napolitano – als einer von wenigen italienischen Politikern, die sich überhaupt zu dem Fall äußerten – die Aufklärung des Unglücks.[5]

[Bearbeiten] Literatur

[Bearbeiten] Einzelnachweise

  1. tagesschau.de: Was geschah mit Flug 870?. Abgerufen am 26. Juni 2010
  2. The Mystery of Flight 870, The Guardian, 21. Juli 2006
  3. a b J. Bauszus: War Ramstein ein Mordkomplott? Focus online, 27. August 2008
  4. Hartmut Jatzko: Nachsorgegruppe der Opfer und Hinterbliebenen der Flugtagskatastrophe von Ramstein, ab Unterpunkt „Hoffnungsschimmer“, eingesehen am 5. Mai 2009
  5. tagesschau.de: 30 Jahre nach dem Flugzeugunglück. Napolitano fordert Aufklärung des Absturzes von Ustica

[Bearbeiten] Weblinks

Persönliche Werkzeuge
Namensräume
Varianten
Aktionen
Navigation
Mitmachen
Drucken/exportieren
Werkzeuge
In anderen Sprachen